Verschiedene Pfade zur Energiewende – Electrosuisse
23. Februar 2022

Verschiedene Pfade zur Energiewende

Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral werden, so lautet ein Beschluss des Bundesrates vom August 2019. Auf dem Weg zur CO2-neutralen Energieversorgung der Schweiz können verschiedene Pfade eingeschlagen werden. Aber welche davon (Elektrisch, Wasserstoff oder Synfuels) sind umsetzbar? Welche Energiespeicher sind nötig – und was kostet uns das alles? Andreas Züttel, Leiter des «Laboratory of Materials for Renewable Energy» in Sion hat es zusammen mit Kollegen durchgerechnet.

Andreas Züttel

«Wir können auf eine globale Energie-Logistik auch in Zukunft nicht verzichten.»: Andreas Züttel, Leiter des Energieforschungszentrums der Empa und der EPFL in Sion. Foto: Empa

1. Energieversorgung voll elektrifiziert

Aus rein energetischer Sicht sei es am effizientesten, die gesamte Energieversorgung zu elektrifizieren, sagt Andreas Züttel. Wenn alle Autos und Lastwagen elektrisch fahren und alle Gebäude mit Wärmepumpen beheizt werden, steigt der dafür nötige Strombedarf nur um knapp 1000 Watt pro Kopf – gegenüber dem heutigen elektrischen Energieverbrauch. Um diese Energiemenge zu erzeugen, bräuchte die Schweiz 48 m² Solarfläche pro Kopf (das entspricht dreimal der verfügbaren Dachfläche der Schweiz), zusätzlich eine 26-kWh-Speicherbatterie pro Kopf und zur Sommer-Winter-Speicherung zusätzlich 13 Pumpspeicherkraftwerke der Dimension «Grande Dixence». Andreas Züttel rechnet vor: «Wenn wir sofort anfangen, müssten wir bis ins Jahr 2035 jedes Jahr eine neue Staumauer bauen.»

2. Energieversorgung mit Wasserstoff

Die zweite Möglichkeit wäre eine Wasserstoffwirtschaft. Doch klimaneutraler Wasserstoff wird aus Solarstrom erzeugt, und bei der Umwandlung geht ein Teil der Energie verloren. Für dieses Szenario bräuchte man daher 116 m² Solarflächen pro Kopf der Bevölkerung – und eine Tag-Nacht-Speicherbatterie von 57 kWh pro Kopf. Dann könnte man mit Wasserstoff Autos, Lastwagen und Busse antreiben und mit katalytischen Brennern alle Gebäude beheizen. Zusätzliche Stauseen bräuchte es für diese Variante nicht, doch der im Sommer erzeugte Wasserstoff muss bei 200 bar Druck in unterirdischen Kavernen gespeichert werden. Andreas Züttel rechnet: «Wir bräuchten ein Speichervolumen von 57 Millionen Kubikmetern – das ist etwa 25 Mal der Gotthard Basistunnel.» Die Energiekosten für diese Variante würden um rund 50% steigen, also von heute 3000 Franken pro Kopf auf rund 4400 Franken pro Kopf und Jahr.

3. Energieversorgung mit synthetischen Treibstoffen

Variante drei ist eine Versorgung des ganzen Landes mit synthetischen Treibstoffen – «Synfuels» aus Ökostrom. Hausbesitzer dürften ihre Öl- und Gasheizungen weiterbetreiben; Autobesitzer würden auch in Zukunft Diesel, Benzin oder Gas tanken. Selbst Kerosin für Ferienflieger ist in dieser Rechnung enthalten (in Szenario 1 und 2 wären für Flugtreibstoffe jeweils 33 m² Solarfläche pro Kopf zusätzlich notwendig!). Neue Stauseen oder unterirdische Wasserstoffkavernen wären hierfür nicht nötig. Doch für dieses Szenario müssten 4,5% der Schweizer Landesfläche mit Solarzellen bedeckt werden – das ist 12-mal mehr als die heute verfügbare Dachfläche. Eine Speicherbatterie von 109 kWh pro Kopf wäre zudem nötig, um die gewaltige Menge an Solarstrom mittags einzuspeichern und für die chemische Industrie verfügbar zu machen, die daraus zunächst Wasserstoff und dann Synfuels herstellt. Die Energiekosten würden sich mehr als verdreifachen – von heute 3000 Franken pro Kopf auf 9600 Franken pro Kopf und Jahr.

Globaler Blick ist gefragt

Andreas Züttel weist darauf hin, dass nicht jeder beliebige Energiepreis auch ökonomisch tragbar ist. «Seit Beginn des Industriezeitalters vor gut 200 Jahren ist die Wirtschaftsleistung jedes Landes an die Verfügbarkeit von Energie gekoppelt. Doch fürs Wachstum darf Primärenergie nicht mehr als 40 Rappen pro kWh kosten, sonst arbeitet die Industrie mit Verlust», sagt der Forscher. «Wir müssen uns also von der Vorstellung verabschieden, dass wir unseren gesamten Energiebedarf mit im Inland erzeugter, erneuerbarer Energie decken können.» Daher empfiehlt Andreas Züttel den globalen Blick: In Gegenden wie die Sahara oder in Australien sei die Sonneneinstrahlung so hoch, dass Synfuels um ein Drittel billiger erzeugt werden können. Demnach können wir auf eine globale Energie-Logistik auch in Zukunft nicht verzichten.