ETH Energy Week – die Brücke zwischen Forschung und Bevölkerung – Electrosuisse
13. Dezember 2022

ETH Energy Week – die Brücke zwischen Forschung und Bevölkerung

Drei Dinge hat sich das 2005 gegründete Energy Science Center der ETH Zürich auf die Fahne geschrieben: Forschen, Lehren und Kommunikation mit der Aussenwelt. Ein wichtiges Instrument für letzteres ist die ETH Energy Week, die anfangs Dezember 2022 im Hauptgebäude der ETH und online stattfand. Sie wird auch Spuren hinterlassen, plant doch das Verkehrshaus Luzern einen öffentlich zugänglichen Energy Park, um uns das Thema auch längerfristig zugänglich zu erhalten. Die nächste Energy Week kann man sich auch bereits vormerken: 4. – 8. Dezember 2023.

Bevor die Kommunikation mit der Bevölkerung greifen kann, muss noch intensiv rund um anstehende Probleme und neue Technologien geforscht werden. Über 60 Professoren arbeiten mit ihren Teams an Lösungen für eine umweltfreundliche, gesellschaftlich wie wirtschaftlich tragbare und technisch effiziente Energieversorgung. Dies ruft auch immer stärker nach einer übergreifenden digitalen Systemmodellierung und entsprechendem Datenmanagement zur Echtzeit-Steuerung des Gesamtsystems.

Das Thema einer sicheren und zunehmend dekarbonisierten Energieversorgung könnte aktueller nicht sein, verschärft sich doch der Druck von Seite Klimawandel zunehmend in Kombination mit unsicher gewordenen Lieferketten für Energierohstoffe. Die Energy Week reagierte darauf mit einer die Energiemengen visualisierenden Ausstellung im Hauptgebäude, einem Eröffnungs-Symposium, mehreren online Fokus-Dialogen, einem Energy Sprint Day für Studierende im Bereich Gebäudetechnik und einem abschliessenden Science Policy Panel.

Eröffnungs-Symposium

Benoît Revaz, Prof. Dr. Russell McKenna und Prof. Dr. Arno Schlüter

Benoît Revaz (Direktor Bundesamt für Energie), Prof. Dr. Russell McKenna (Energiesystemanalyse ETHZ/PSI) und Prof. Dr. Arno Schlüter (ETHZ Architektur und Gebäuddesysteme) motivieren die Akteure für wichtige Handlungsfelder.

Im Eröffnungs-Symposium machten Forscher und Behördenvertreter klar, dass es eine Gesamtsicht über die verschiedenen Technologien zu Erzeugung, Speicherung und Verbrauchssteuerung braucht. Ohne Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Machine Learning wird die Abstimmung der einzelnen Disziplinen im Echtzeitverlauf kaum zu schaffen sein – und da reicht nicht nur eine Normung für die Interaktion. Die Schweiz ist in vielen Infrastrukturbereichen auch gefordert, im Bereich Digitalisierung deutlich aufzuholen. Ebenso wurde klar, dass man den Ausbau von Wind und insbesondere PV in den letzten Jahren verschlafen hatte und jetzt in jedem möglichen Szenario beschleunigt ausbauen muss. Richtig angewendet zeigen sich die Erneuerbaren heute bereits als die kostengünstigsten Produktionstechnologien. Sie müssen allerdings in einem guten Verhältnis mit Wasserkraftspeichern, Wärmespeichern und teilweise auch Gas/Wasserstoff-Speichern (Power to X) ergänzt werden.

Aber auch im Gebäudebestand braucht es dringend effizientere Lösungen, zwei Drittel der Bauten in der Schweiz sind älter als 40 Jahre. Die Elektrifizierung des Verkehrs ist unabdingbar, und nebst mehr Kapazität bei Strom-/Wasserkraftspeichern braucht es auch grosse Mengen an Wärmespeichern: Untergrundbereiche sollen im Sommer Wärme aufnehmen und diese im Winter wieder abgeben können. Da dies immer noch nicht ganz ausreicht für ein Netto Null Szenario, wird zusätzlich an Carbon Capture Prozessen gearbeitet, also Möglichkeiten, CO2 vor dem Ausstoss in die Atmosphäre materiell zu binden und einzulagern. Eine weitere Schlüsselrolle wird ein geordnetes Zusammenspiel mit unseren Nachbarländern spielen – denn ein autarkes Energiesystem nur für die Schweiz würde Kosten und Speicherbedarf um Faktoren ansteigen lassen und als Insellösung wenig sinnvoll und auch kaum finanzierbar sein.

Prof. Dr. Marco Mazzotti, Prof. Dr. André Bardow, Dr. Christian Schaffner

Prof. Dr. Marco Mazzotti konzipiert eine effiziente Carbon Capture Prozesskette, um die Atmosphäre zusätzlich entlasten zu können. Prof. Dr. André Bardow quantifiziert die Effizienzgrade verschiedener Technologien und zeigt, dass Sektorkopplung von einem massiv beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren begleitet werden muss. Dr. Christian Schaffner motiviert die anwesenden Branchenexperten, die Erkenntnisse aus der Energy Week in die Politik und die Bevölkerung hinauszutragen – «wenn nicht wir Experten, wer sonst?».

Energy Sprints für Studierende

Durch die Ausstellungswoche folgten vertiefende online-Fokusdialoge zu Investitionen, Szenarien, Infrastrukturen, Gebäuden und Digitalisierung (AI, dezentrale Flexibilität). Das Siegerteam des Energy Sprints für Studierende durfte am Freitag an der Finissage neben dem Science Policy Podium sein Konzept vorstellen. Es hatte über die Vernetzung verschiedener Gebäudeparks mit unterschiedlichen Lastprofilen eine Angleichung an die verfügbare Einspeisekurve realisiert und präsentierte dies ansprechend als kleines Theaterstück.

Sie wurden von den teilnehmenden Studierenden am Energy Sprint als bestes Team gewählt:

Sie wurden von den teilnehmenden Studierenden am Energy Sprint als bestes Team gewählt: Maxime Descamps, Daniel Andersen, Niki Apostolopoulou, Ayca Duran

Energy Now

Ebenfalls prämiert wurden zwei weitere Teams aus dem ESC-Studiengang-Modul Energy Now! Das erste Team konzipierten eine App zum Energieverbrauch im Haushalt, um über Visualisierung eine Verbesserung anzuregen. Ein zweites Team nahm die VBZ als grössten Energieverbraucher der Stadt Zürich ins Visier und suchte nach Energieeinsparungen, indem Fahrgäste interaktiv die energieintensive Heizung im Fahrgastraum absenken können.

Visualisierung Energieverbrauch im Haushalt

Visualisierung Energieverbrauch im Haushalt: Eric Erhardt, Daniel Biek, Arijit Upadhyay, Carlo Tajoli

VBZ Energiesparen:

VBZ Energiesparen: Benedikt Buhk, Madeleine Kyne, Elea Seidlmann (mit ESC Direktor Dr. Christian Schaffner)

Science-Policy-Podium

Im anschliessenden finalen Science-Policy-Podium wurde zwischen Forschung und Politik ein aktualisiertes Zwischenfazit gezogen: Technologien für die Energieproduktion, Energienetze, Gebäude, Energiespeicherung und Sektorkopplung sind grundsätzlich vorhanden. Es braucht aber einen deutlichen Effort für die Digitalisierung aller Infrastrukturen, mehr Energieeffizienz bei den Verbrauchern, die Elektrifizierung der Mobilität und einen stark beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Für letzteres ist auch die Kompromissbereitschaft der lokalen Bevölkerung wichtig. Gegegenläufige Interessen im Natur- und Landschaftsschutz müssen mit dem wachsenden elektrischen Energiebedarf austariert werden, damit dieser die fossilen Brennstoffe ersetzen kann.

Da man noch mit gut gefüllten Gasspeichern in den aktuellen Winter 2022/23 eintreten konnte, könnte der Folgewinter 2023/24 wegen den eingangs nicht mehr vollständig gefüllten Gasspeichern kritischer werden. Will man Klimaschutz ernst nehmen, muss aber Gas langfristig mit erneuerbaren Energieträgern ersetzt werden und nicht einfach mit Flüssiggas. Photovoltaik kann im eher schwach produzierenden Winter ausgleichend mit gegenläufig produzierender Windkraft ergänzt werden. Und bei Engpässen wird sorgfältig dosierter Wasserstoff trotz seines deutlich tieferen Systemwirkungsgrads auch seinen Beitrag leisten. Die Regulierung muss nun relativ rasch sehr deutliche Anreize für einen stark beschleunigten Umbau aller betroffenen Infrastrukturen schaffen.

Animiertes Energieflussdiagramm der ETH

Die Energieflüsse für Strom, Wärme und Mobilität müssen bis 2050 neu geordnet und mit den richtigen Speichertechnologien ergänzt werden. Ein animiertes Energieflussdiagramm der ETH zeigt dies auch im saisonalen Verlauf.

Gleichzeitig braucht es ein hohes Augenmerk auf Fachkräfte mit entsprechender Aus- und Weiterbildung. Im akademischen Bereich bieten sich der Master in Energy Science and Technology und der Master in Integrated Building Systems an. Für die Berufspraxis gibt es neue neuen Berufslehren in der Solarbranche ab 2024/25, interessierte Lehrbetriebe können sich bereits jetzt dafür anmelden.

Im Bereich Weiterbildung wird ein 14-wöchiges berufsbegleitendes CAS Applied Technology in Energy angeboten, für das man sich bis Ende Februar 2023 noch anmelden kann (Informationsveranstaltung online am 30. Januar 2023).

Pascal Previdoli, Gabriela Suter, Gabriela Hug, Priska Wismer-Felder, Anthony Patt

Im Podium diskutierten Politik und Wissenschaft kurz- und langfristige Auswege aus der aktuellen Energiekrise: Pascal Previdoli (Stv. Direktor BfE), Gabriela Suter (Nationalrätin SP/AG), Gabriela Hug (Professorin ETHZ), Priska Wismer-Felder (Nationalrätin Mitte/LU), Anthony Patt (Professor ETHZ)

Zum Schluss formulierten die Panelisten ihre wichtigsten Wünsche an die jeweilige Gegenseite:

Die Wissenschaft wünscht sich von der Politik, dass sie vermehrt mit harten Zahlen und Fakten arbeitet und – ein Stromabkommen! Denn ohne dieses werden die Versorgungsszenarien um Faktoren herausfordernder und teurer!

Und die Politik wünscht sich von der Wissenschaft, dass sie die Zusammenhänge einfach und verständlich formuliert und notfalls auch dreimal erklärt, bis das Wesentliche verstanden wird. Zudem eine verstärkte Zusammenarbeit auch mit den Wirtschafts- und Fachverbänden, nicht nur mit Umweltverbänden.

Insgesamt ist man sich aber einig, dass der Dialog sehr gut läuft und man sich zielführend auf dem gemeinsamen Weg in eine nachhaltigere Energiezukunft unterstützt.

Die Energiesäulen 2022 im linken Bild zeigen die starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen (schwarz) und Uran (hellgrün) aus dem Ausland. Rechts ein mögliches Einspeisebild 2050 – dank höherer Verbrauchereffizienz bei Verkehr und Wärme braucht es auch weniger Primärenergie.

Die Ausstellung in der ETH-Haupthalle zeigte über die ganze Woche eindrücklich auf, wo wir in der Energiefrage heute stehen und wieviel es bei welchem Teilaspekt bis 2050 noch zu tun gibt. Ein Teil der Exponate wird später im Verkehrshaus Luzern wieder zu finden sein, nämlich in der Schwerpunktausstellung Experience Energy! ab Frühling 2023